Warum echte Innovation durch das Innovationsmanagement erstickt wird
Innovation braucht Management
Wenn ein Unternehmen es ernst meint mit dem Wunsch nach Innovation, dann führt es in der Regel ein Innovationsmanagement ein. Nun, auch wenn diese beiden Begriffe, Innovation und Management, in manchen Ohren wie Wasser und Öl klingen, macht es durchaus Sinn, Innovation zu managen.
«Innovation» besteht immer aus zwei Komponenten: einem Inhalt, also einem überraschenden Vorhaben (im Volksmund «Idee» genannt), und einem Gefäß, also den strukturellen Rahmenbedingungen. Zu diesem zweiten Punkt gehören Dinge wie der Innovationsprozess, die Rollen, die Kommunikationswege, die Entscheidungsbefugnisse, die zeitlichen und finanziellen Ressourcen etc.
Wenn ich also schreibe, dass ein Innovationsmanagement in etablierten Unternehmen durchaus sinnvoll ist, dann meine ich nicht das Management der Inhalte, denn hier kann eine aktive Steuerung nur schaden. Nein, ich meine das Management des Gefäßes. In etablierten Unternehmen passiert Innovation nicht einfach so. Alle Prozesse, Arbeitsteilungen, personellen Fähigkeiten und infrastrukturellen Gegebenheiten sind darauf ausgerichtet, die bisherige Wertschöpfung zu steigern und damit zu festigen. Wirklich Neues entsteht in einem solchen System nur zufällig und gegen viele Widerstände.
Um Innovation zu einem integralen Bestandteil eines Unternehmens zu machen, müssen daher bewusst förderliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dies ist die Aufgabe des Innovationsmanagements. Es ist also die Mutter, deren Aufgabe es ist, die idealen Bedingungen zu schaffen, damit überraschende Lösungen entstehen können.
Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Wenn sich nun ein Unternehmen entschließt, in ein Innovationsmanagement zu investieren, dann könnte man hoffen, dass dieses Innovationsmanagement die Entstehung wirklich neuer Lösungen wahrscheinlicher macht. Leider ist dies in den allermeisten Unternehmen nicht der Fall. Fast immer ist es das Innovationsmanagement selbst, das echte Innovation erstickt.
Um das zu verstehen, müssen wir einen Blick darauf werfen, wie Innovation in vielen Unternehmen gelebt wird: Am Anfang steht das Sammeln von Ideen. Selten geschieht dies noch mit einem klassischen Ideenbriefkasten, oft gibt es dafür eine digitale Sammelstelle. Die gesammelten Ideen werden dann von einer dafür vorgesehenen Gruppe bewertet. Die besten Ideen werden weiterverfolgt - oft geht es dabei um die Erstellung eines Businessplans oder eines «Proof of Concept». In weiteren Entscheidungssitzungen werden die besten Ideen erneut ausgewählt und schließlich umgesetzt.
Dieser Prozess - oft ein sogenannter Stage-Gate-Prozess oder eine Variation davon - lässt sich auch als Trichter darstellen. Zu Beginn gelangen möglichst viele Ideen in die Öffnung des Trichters, diese Anzahl wird dann durch mehrere «Gates», also Entscheidungssitzungen, stark reduziert. Die Grundhaltung dieses Vorgehens lässt sich gut mit den Worten des Nobelpreisträgers Linus Pauling beschreiben: «Der beste Weg, eine gute Idee zu haben, ist, viele Ideen zu haben».
Das mag vernünftig klingen. Schließlich steigt die Wahrscheinlichkeit, gute Ideen zu haben, mit der Anzahl der Ideen, nicht wahr? Und eine schnelle Fokussierung auf wenige Ideen ist wichtig, weil wir mit begrenzten Ressourcen effizient umgehen müssen, oder?
Drei falsche Grundannahmen
So einfach ist es leider nicht. Und die Schwachstelle liegt nicht hier, sondern in drei falschen, meist unbewussten und kaum hinterfragten Grundannahmen. Diese sind:
Man kann den zukünftigen Erfolg einer ungewöhnlichen Lösung abschätzen.
Eine Gruppe von Menschen kann dieses Potenzial besser abschätzen als eine einzelne Person.
Eine Idee zu Beginn des Prozesses entspricht weitgehend der endgültigen Lösung.
Betrachten wir diese drei Annahmen der Reihe nach:
Selbst wenn wir versuchen, den zukünftigen Erfolg einer relativ bekannten Lösung abzuschätzen, liegen wir regelmäßig falsch. Nur so lässt sich erklären, warum Filmstudios hunderte Millionen Dollar für Filme nach Schema F ausgeben, die dann an den Kinokassen floppen. Wenn es eine Methode gäbe, den Erfolg einer ungewöhnlichen Lösung abzuschätzen, würde jeder Risikokapitalgeber damit arbeiten. Der zukünftige Erfolg hängt von so vielen Variablen ab, dass eine Prognose schlicht unmöglich ist.
Aber selbst wenn es Menschen gäbe, die den zukünftigen Erfolg sehr gut einschätzen könnten - hilft es dann, die Ideen in einer Gruppe auszuwählen? Nein, denn Gruppenentscheidungen vermeiden Extreme. Alle Optionen, die nicht über genügend bekannte Elemente verfügen, fallen dem Konsens zum Opfer. Das sind einerseits die offensichtlich schlechten Ideen, aber auch die wirklich überraschenden. Damit würde auch die eine Person mit einem hervorragenden Bauchgefühl überstimmt - und echte Innovation wäre an dieser Stelle beendet.
Die dritte Annahme ist etwas kniffliger. Denn nicht selten ist es so, dass die Ideen dem Ergebnis sehr ähnlich sind - aber nicht, weil das gut ist, sondern weil den Ideen nicht die Möglichkeit gegeben wird, sich stark zu verändern. Idealerweise sollten sich Ideen während des Innovationsprozesses auf eine Lernreise begeben. Durch Tests, neue Erkenntnisse und Diskussionen mit vielen verschiedenen Menschen werden Ideen geformt. Ideen werden jedoch daran gehindert, sich positiv zu verändern, weil sie bereits in einem sehr frühen Stadium des Prozesses von einer Gruppe von Experten oder Führungskräften ausgewählt werden. Dieses Ja zu einer Idee ist gleichzeitig eine implizite Aufforderung, die Idee so belassen.
Würde das Entscheidungsgremium jedoch aktiv dafür sorgen, dass sich die Ideen im Laufe des Prozesses noch stark verändern können, so wäre es unerheblich, ob die obigen Annahmen 1 und 2 zutreffen. Denn selbst wenn es möglich wäre, als Gruppe den zukünftigen Erfolg einer Idee abzuschätzen, wäre dies nichts wert, wenn sich die Idee noch stark verändern würde.
Was passiert also in vielen Unternehmen? Verschiedene Ideen werden gesammelt, die Gruppe bewertet sie so, als ob sie gute von schlechten Ideen unterscheiden könnte und als ob die Ideen bereits das Endergebnis darstellen würden, der Konsens lässt überraschende Ideen nicht weiter zu und verhindert, dass sich die verbleibenden Ideen stark positiv weiterentwickeln.
Die Mutter erstickt die Innovation.